Wie wir das Fach Deutsch sehen

Manfred Huth / Christoph Joachim Schröder

In: Hits für den Unterricht. Bd.1. Das schnelle Nachschlagewerk für die Fächer
eutsch, Deutsch als Zweitsprache, Englisch, Französisch. Band 1. Reinbek: Rowohlt 1989. S. 15-17.

Die Auswahlkriterien für die vorgestellten Materialien resultieren aus unseren Vorstellungen von Deutschunterricht - aus unserer Praxis, wie wir das Fach unterrichten:

1.Wir arbeiten möglichst Lehrbuchunabhängig, also mit Arbeitsblättern, Folien, Matrizen, Zeitungsausschnitten, Hörspielen usw. ... D. h., wir wenden uns an LehrerInnen, die sich ihre Unterrichtseinheiten selber zusammenstelen. Das bedeutet zwar mehr Arbeit, andererseits aber Freiheit von vorgegebenen Konzepten. Vor allem einen Freiraum von kultusbürokratischer Zensur, also einen politischen Freiraum. Nichts gegen Lesebücher - es gibt eine ganze Reihe brauchbarer - aber sie sind oft genug von Aktualität gereinigt, von wirklich brisanten und konflikthaltigen Texten. Deshalb haben wir keine Lesebücher und auch keine Sprachbücher rezensiert, sondern vor allem einzelne Materialien, die Bausteine für ein eigenes Curriculum abgeben können. Will man dem Entpolisierungs- und Harmonisierungszwang herkömmlicher Schulbücher entgehen, ist man auf laufendes Sichten von Material angewiesen. Vor allem alternatives Material aus kleinen Verlagen haben wir berücksichtigt und "Kleinodien", die irgendwo versteckt sind. Denn manchmal ist ein Schulbuch nicht verwendbar - mit einer Ausnahme: auf irgendeiner Seite steht ein Wahnsinnstext, ein "Selbstläufer", der Schüler und SchülerInnen schlagartig die Augen öffnet. Oft werden solche Materialien übersehen. Ihnen nachzuspüren haben unter anderem als eine wichtige Aufgabe angesehen. So finden sich bei einigen Rezensionen Angaben einzelner Seiten, Geheimtips gleichsam. Man braucht sich das Buch nur auf diese Seite hin anzusehen und nachzuschauen, ob sie für den eigenen Unterricht von Nutzen sein kann.

2. Wir haben ein politisches Verständnis von Deutschunterricht. Nicht, daß statt Deutsch auf einmal Politikunterricht gemacht wird - die Gefahr besteht durchaus. Der Deutschunterricht muß aber immer auch bewußt seinen politischen Horizont mitberücksichtigen. Das hat sich auf unsere Auswahl ausgewirkt.Material zu Verschleierung, zur Harmonisierung der Wirklichkeit und zur Entpolitisierung der Schüler (Rechtschreibübungen bis zum Erbrechen, um den Schülern das Denken abzutrainieren und sie an ordentliches Ausführen sinnentleerter Aufgaben zu gewöhnen) wurde von uns nicht zur Kenntnis genommen. Sprachlehre und Rechtschreibung sehen wir nicht als isolierte Teilbereiche des Deutschunterrichts, sondern meinen, es sei allein sinnvoll, sie in Projekten funktional zu üben. Wir lehnen einen reinen Grammatikunterricht ab. Es gibt genügend Untersuchungen, die zeigen, daß reiner Grammatikunterricht in der Muttersprache keinerlei Kompetenzerweiterung mit sich bringt. Bei Rechtschreibung ist das etwas anderes. Hier kann manchmal gezielte individuelle Hilfe in Trainingsform nützlich sein. Deshalb haben wir auch ein relativ breites Angebot von Rechtschreibhilfen besprochen. Wir glauben, daß die Verfügung über ein breites Spektrum von Rechtschreibhilfen (Wortkarten, Arbeitsblätter, Tests, Programme usw.) dem Lehrer helfen, individuell und variabel zu arbeiten.

3. Unsere Auffassung des Deutschunterrichts unterscheidet sich stark von instrumentellen, bzw. technisch-didaktischen Konzepten. Natürlich sollen die Schüler und Schülerinnen auch das Instrument "Deutsche Sprache" beherrschen, um ihre Interessen auszudrücken und durchzusetzen bzw. kritische Texte lesen zu können. Dennoch ist das nicht alles. Deutschunterricht hat auch die Aufgabe (durch Lektüre, Diskussion und Selbnstzeugnisse) den Schülern Erkennznisse über die Welt, die Gesellschaft und über sich selbst zu vermitteln. Eine Diskussion über Zwecke, Wünsche Hoffnungen und Leiden als konkrete und individuelle Erfahrung läuft vor allem über das Mittel der Literatur. Was Menschen fühlen, was sie wollen, ihre Interessen, Sehnsüchte, ihre Täuschungen und Selbsttäuschungen, ihre gesellschaftlichen Bedingungen, Entfremdungen usw., alles hat seinen Ort im Literaturunterricht und hat mit Selbstbewußtsein zu tun, mit Sensibilität auch und gerade im ästhetischen Bereich. Deshalb legen wir bei unserer Auswahl einen großen Wert auf einen Literaturunterricht und inhaltliche Fragestellungen.

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