Binnendifferenzierung im DaF/DaZ-Unterricht
Manfred Huth

Leistungsheterogene Lerngruppen verlangen unterrichtliche Maßnahmen, die welche individuelle Lernvoraussetzungen in den Blick nehmen und diesen Rechnung tragen. Binnendifferenzierende Gestaltung des Unterrichts heißt, die Lernenden nach ihren optimalen Möglichkeiten zu fördern, die individuellen Lernergebnisse innerhalb einer bestimmten Unterrichtszeit zu optimieren, also die Lernzeit individuell bestmöglich zu nutzen.

Binnendifferenzierung ist ohne Frage auch möglich beim traditionellen lehrerInnenzentrierten Unterricht. Das zum Repertoire jeder LehrerIn gehörende Postulat des Methodenwechsels nimmt bei dieser Unterrichtsform eine zentrale Rolle ein. Ein zerschnittener Kurztext, der erst zusammengepuzzelt werden muss, ein Bild, ein Lied oder ein auf Kassette gesprochener Text zum Einstieg, Clustering und Assoziogramm zum Sammeln und Strukturieren, szenisches Erkunden, Einfühlen und Reflektieren als Interpretationsformen verringern die sprachlich-kognitive Dominanz des Unterrichts, sprechen verschiedene Sinne an und ermöglichen SchülerInnen mit verschiedenem Lerntypus auf diese Weise unterschiedliche Lernzugänge.
In der Klasse hängende Lernhilfen in Form von Postern mit Tipps zum Schreiben, z.B. Wortersatz für das Verb "sagen", gute Satzanfänge, Konjugations- und Deklinationsbeispiele sowie Wörterbücher, Nachschlagewerke und elektronische Enzyklopädien und Lexika unterstützen SchülerInnen dabei, sich gemäß ihrer individuellen Lernsituation im Unterricht besser zurechtzufinden.
Die im Unterricht zu bearbeitenden Materialien können in mehrfacher, unterschiedlicher Form angeboten werden. Ein Text kann z.B. mit und ohne Entlastungen, in voller Länge und in vereinfachter Form, mit und ohne Bilder und mit individuell vorbereiteten unterschiedlichen Arbeitsaufgaben versehen sein - gemäß dem Niveau der verschiedenen SchülerInnen bzw. SchülerInnengruppen.
Schließlich gehören zur traditionellen binnendifferenzierenden Unterrichtsvorbereitung Zusatzangebote für SchülerInnen, die ihre Aufgaben schneller erledigt haben. Diese Zusatzangebote müssen lustvoll konzipiert sein, um nicht als Bestrafung missverstanden zu werden, und sollen den momentanen Unterrichtsstoff anreichern und erweitern ohne ihn weiterzuführen.

Eine wesentliche Komponente binnendifferenzierenden Unterrichts ist es, mehr Zeit und Ruhe für die Betreuung kleiner Gruppen und einzelner SchülerInnen zu gewinnen, denn individuelle Erklärungen, Beantwortung von Einzelfragen, Beseitigung von Ängsten und Blockaden durch Tipps, arbeitstechnische Hilfen und Lernberatung sind oft wirkungsvoller für die individuelle optimale Nutzung der Lernzeit als noch so ausgeklügelte Differenzierungsmaterialien. Vorrangig geht es deshalb darum, traditionelle gleichschrittige Unterrichtsformen durch offenes, eigenverantwortliches und individualisiertes Lernen der SchülerInnen gemäß ihrer Interessenslage und Motivation zu ersetzen. D.h. alle Arten der Öffnung - seien es Gruppenunterricht, Lernzirkel, Werkstattunterricht, durch Wochenplan strukturierte Freiarbeit, entdeckendes Lernen oder Projektunterricht - beinhalten Möglichkeiten der Differenzierung und lassen der LehrerIn Zeit zur Einzelberatung.
Offener Unterricht setzt Methodenkompetenz, soziale Kompetenz sowie Eigenverantwortung bei SchülerInnen in gewissem Maße voraus und generiert diese Fähigkeiten auch durch die ständige Praxis ... zu warnen ist allerdings vor einer Verabsolutierung der Methoden
1 als didaktisches Allheilmittel. Auch ohne den Verabsolutierungsanspruch verändert offener Unterricht das schulische Lernen in Richtung auf optimale Förderung des Einzelnen, was konsequent durchgeführt eine Vermenschlichung der Schule zur Folge hat und das bedeutet viel.

Binnendifferenzierung im offenen DAZ Unterricht - Wie fange ich an?
Für den Einstieg in offene Lernprozesse, ganz gleich in welcher Klassenstufe, gilt die Devise: Behutsam und Schritt für Schritt! Denn je länger SchülerInnen an vornehmlich lehrerInnengeleitete und reproduzierende Unterrichts und Arbeitsformen gewöhnt wurden, desto langwieriger ist der Prozess, eigenverantwortliches Lernen zu erzeugen. Grundvoraussetzung für Binnendifferenzierung im offenen Unterricht ist es, das "Handwerkszeug" beherrschen zu lernen:

Wie bereiten sich die Lehrerinnen auf binnendifferenzierenden offenen DaZ Unterricht vor?
Neben gründlicher Untersuchung der bisherigen Lernerfahrungen im Herkunftsland der DaZ SchülerInnen und selbstkritischem Durchdenken der eigenen LehrerInnenrolle4 geht es vor allem um Anerkennung und Realisierung von Unterrichtsprinzipien, die einem offenen binnendifferenzierenden DaZ Unterricht zugrunde liegen:

Die Lernumgebung für offenes binnendifferenzierendes Arbeiten
Der Klassenraum muss so gestaltet werden, dass er offene binnendifferenzierende Unterrichtsprozesse zulässt9:

Die Klasse sollte Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlen; Wohnzimmeratmosphäre ist besonders wichtig bei der Arbeit mit MigrantInnen und Flüchtlingen, die in dieser Gesellschaft in oft menschenunwürdigen Behausungen und Verhältnissen sowie vielfach ohne Familie hier leben müssen.

1 Vergl. Horst Bartnitzky (Hg.): Auf dem Weg zum differenzierten Schulalltag. Rahmenbedingungen Grundsätze Beispiele. Ergebnisse des Mülheimer Grundschultages 1982. Frankfort: Arbeitskreis Grundschule 1983. Hildegard Kasper / Arno Piechorowski (Hg.): Offener Unterricht an Grundschulen. Ulm: Vaas Verlag 1978. Wolf Wallrabenstein: Offene Schule Offener Unterricht. Ratgeber für Eltern und Lehrer. Reinbek: Rowohlt 1991. - Manfred Huth: Innere Schulreform als methodische Runderneuerung. Kritisches zum Offenen Unterricht und anderen "Allheilmitteln". In: PÄDEXTRA 10/1991, S. 40-42.
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2 Ausführlich wird der Umgang mit Lernkarteien sowie die Erstellung eigner Lernprogramme dargestellt in: Peter Fenske: Das kleine Buch vom Lernen. Biologisch lernen mit der 5 Fächer Lernkartei. Lichtenau: AOL Verlag 1993.
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3 Viele gute Anregungen finden sich in den folgenden zwei Büchern: Hermann Schulze: .. und morgen fangen wir an!" Bausteine für Freiarbeit und offenen Unterricht in der Sekundarstufe. Konzepte, Materialien, Anregungen für die Praxis. Lichtenau: AOL und Schulze Verlag 1993. Katharina Flick (Hg.): Freiarbeit Werkbuch Primarstufe. Lichtenau: Freiarbeit Verlag 1993 ' Bezug: AOL/Freiarbeit Verlag, 77836 Lichtenau.
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4 Vergl. Manfred Huth: Projekt: Zweitsprache. Sprachunterricht und Sprachlernen im Einwanderungsland. In: pädextra 7/8 1993, S. 56 ff.
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5 S. Horst Speichert: Praxis produktiver Hausaufgaben. Königstein/ Ts.: Scriptor 1982. S. 214.
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6 Alle Vorhaben ausführlich in: Manuel Salzenbach: Deutsch als Zweitsprache Lernen vor Ort und in der Schule. WIS Materialien 17/91. Bremen: Wissenschaftliches Institut für die Schulpraxis 1991. A4Format, 219 S. Bezug: WIS, Am Weidedamm 20,2800 Bremen 1.
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7 Vergl. Jürgen Stitz/Angelika Weber: Ausländische Jugendliche schreiben. Erfahrungsbezogener Sprachunterricht in der Berufsvorbereitung. Frankfurt: Seriptor 1985. Vertrieb und Auslieferung durch Cornelsen, Bielefeld.
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8 Alle genannten Vorhaben ausführlich dokumentiert in: Barbara Puhan Schulz: Wenn ich einsam bin, fühle ich mich wie acht Grad minus. Kreative Sprachförderung für deutsche und ausländische Kinder. Weinheim/Basel: Beltz 1989.
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9 Sehr brauchbare Tipps, Hinweise und Bauanleitungen für Klasseneinrichtung in: Gerhild Kirschner: Die Ideenkiste Nummer 1 für Schulen mit wenig Geld. 50 Ideenkarten. (Wegwerfdinge sinnvoll umgewandelt für Anschauung, Übung und Organisation.) Lichtenau: FreiarbeitVerlag o.J.
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